Ob Homeoffice, Maskenpflicht oder Zwang zum Einwegbecher – die Corona-Pandemie stellt das Leben auf den Kopf. Die Folgen zeigen sich auch in unseren Mülleimern. Die Deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft rechnet damit, dass 2020 die Menge des Hausmülls um 2,26 Millionen Tonnen zunehmen wird. Ein großer Teil davon besteht aus Plastik. Allein in den vergangenen Monaten habe die Menge des Kunststoffmülls in den gelben Tonnen um zehn Prozent zugenommen, berichtet das Recyclingunternehmen Grüner Punkt.
Warum das so ist? Millionen Menschen arbeiten von zu Hause,
sie kaufen Lebensmittel in kleinen Packungen, sie bestellen Waren im Internet,
die wiederum in Plastik verpackt sind. Darüber hinaus geben Imbissbuden und Restaurants
aus Hygienegründen öfters Einweggeschirr an ihre Kunden aus. Das Personal in
Krankenhäusern und Pflegeheimen benötigt mehr Schutzkleidung als früher –
vieles davon ist aus Kunststoff. Nach dem Gebrauch landen Kittel, Handschuhe
und Masken im Müll.
Das ist nicht nur eine Herausforderung für die Umwelt, sondern auch für die Recyclingbranche. Denn während die Abfallberge wachsen, schrumpft die Zahl der Abnehmer von Rezyklat. Selbst hochwertige Ware kann nicht abgesetzt werden. Grund dafür ist der Ölpreis, der durch die von Corona verursachte Wirtschaftsflaute in den Keller gegangen ist. Rohöl ist die wichtigste Zutat zur Herstellung von Plastik. Der gesunkene Preis macht Neukunststoff billiger. Die Folge: Immer mehr Firmen verzichten auf Rezyklat und verwenden lieber neuen Kunststoff.
Für die Recyclingindustrie heißt das weniger Umsatz und schrumpfende Profitabilität. Es droht ein Rückschlag für die gesamte Kunststoff-Kreislaufwirtschaft – entgegen dem Willen vieler Verbraucher. Umfragen des Marktforschers GfK belegen, dass Konsumenten auch in der Corona-Zeit Plastikmüll als größtes Problem für ihre Umwelt ansehen. Sie erwarten Lösungen zugunsten einer nachhaltigen Wirtschaft.
Auswege gibt es längst. Denn technisch ist ein leistungsfähiger Stoffkreislauf möglich. Gebrauchtes Plastik aus Sammlungen wie dem Gelben Sack lässt sich so hochwertig aufbereiten, dass sogar die strengen Auflagen für den Einsatz von Rezyklat für Kosmetikverpackungen erfüllt werden.
Die Folgen der Pandemie könnten die bisherigen Bestrebungen für einen Kunststoffkreislauf zunichtemachen. Mit der Menge an Hausmüll steigt die Dringlichkeit, den Umgang mit Abfällen zu überdenken. Handlungsbedarf ist offensichtlich. Schon vor Corona kam in Deutschland Verpackungsmüll aus Kunststoff überwiegend in die Müllverbrennung. Was die Recyclingquote betrifft, gibt es also Luft nach oben. Nur knapp 16 Prozent der im Endverbrauch anfallenden Kunststoffabfälle werden zu Rezyklat verarbeitet und lassen sich wiederverwerten.
Bernhard Bauske, Experte der Umweltschutzorganisation WWF, fordert, die Last nicht nur auf den Verbraucher abzuwälzen. Gefragt seien Wirtschaft und Gesetzgeber. „Gerade jetzt in der Krise brauchen wir massive Weichenstellungen, um eine Zukunft mit mehr Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft einzuläuten.“ Strengere Vorgaben seien nötig, damit sich mehr Verpackungen recyceln lassen. Außerdem müsse die Bundesregierung Mehrwegsysteme in Gastronomie und Online-Handel voranbringen. Deutschland gehört zu den Spitzenreitern der Abfallproduktion in Europa. Im Jahr 2017 fielen hier 226,5 Kilogramm Verpackungsmüll pro Kopf an. Der Durchschnitt in der EU liegt bei 173 Kilogramm.
Der Grüne Punkt, als einer der führenden Anbieter von Rücknahmesystemen, sieht angesichts der schleppenden Fortschritte große Probleme für die Recyclingbranche und warnt vor einem Kollaps. „Der extrem niedrige Ölpreis und die Folgen der Corona-Pandemie gefährden massiv alle Erfolge und Bemühungen, Plastik zu recyceln und im Kreislauf zu führen“, sagt Michael Wiener, Geschäftsführer des Grünen Punkts.
Er spricht von Marktversagen – zum Nachteil der Umwelt. Denn Recyclingkunststoff spart bis zu 50 Prozent der Treibhausgasemissionen, die durch neuen Kunststoff erzeugt werden. Die Politik müsse der Kreislaufwirtschaft für Kunststoff endlich zum Durchbruch verhelfen, fordert Wiener. Die durch Corona gefährdeten Betriebe sollten unterstützt werden. Er empfiehlt eine Abschaffung der Wettbewerbsvorteile für Neuware gegenüber Kunststoff-Rezyklaten.
Die Gefahr besteht also, dass Politik und Öffentlichkeit ihren Blick nur auf Corona richten und den eingeschlagenen Weg der Kreislaufwirtschaft aus den Augen verlieren, obwohl diese für die Zukunft unserer Gesellschaft von herausragender Bedeutung ist. Denn sie sorgt für Umweltschutz und Nachhaltigkeit.